Nationale Koordination Seltene Krankheiten
Coordination nationale des maladies rares
Coordinamento nazionale malattie rare
Coordination Rare Diseases Switzerland

Interview Nick Meier

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Bild: privat
Interview: Carola Fischer (Itinerare)

Welche Krankheit haben Sie genau?

Ich habe das Gorham-Stout-Syndrom, eine seltene Knochenkrankheit, bei der die Knochenmasse abgebaut und durch Lymphgefäße ersetzt wird. Bei mir betrifft dieser Prozess den Bereich im Kopf, genauer gesagt den Knochen zwischen dem Nasendurchgang und dem Gehirn. Das bedeutet, der Knochen an dieser Stelle wird aufgelöst und durch Lymphgefässe ersetzt, wodurch er wie ein Schwamm wird. Durch diese Knochenauflösung entsteht ein direkter Durchgang von der Nase zum Gehirn. Wenn ich mich kopfüber beuge, läuft mir Liquor aus der Nase. Wegen diesem Durchgang zum Gehirn hatte ich bereits 11 Hirnhautentzündungen, da Bakterien sehr leicht an die Hirnhaut gelangen können.

Welche Symptome haben Sie?

Zu Beginn der Krankheit hatte ich immer wieder "Schüttel-Kopfschmerzen". Das bedeutet, dass es schmerzhaft war, wenn ich den Kopf schüttelte. Ehrlich gesagt, habe ich das anfangs nicht richtig ernst genommen, weil der Schmerz nicht so stark war, sondern eher "nervig". Gleichzeitig bemerkte ich, dass mir, wenn ich mich kopfüber beugte, eine wasserähnliche Flüssigkeit aus der Nase tropfte. Manchmal war auch am Morgen, wenn ich aufwachte, ein feuchter Fleck neben meinem Kopf, als ob eine Flasche ausgekippt worden wäre. Zunächst machte ich mir aber nicht viel Gedanken über das Tropfen, da mir im Krankenhaus gesagt wurde, es könnte auch eine Grippe oder Allergie sein.

Wie lange hat es bis zu einer präzisen Diagnose gebraucht? Wie viele Ärzte haben Sie gesehen?

Von dem Zeitpunkt, als mir das erste Mal auffiel, dass es mir aus der Nase tropfte, bis zur endgültigen Diagnose des Gorham-Stout-Syndroms vergingen etwa drei Jahre. Alles begann 2014. Die ersten Ärzte meinten, es könnte sich um eine Grippe oder Allergie handeln, die die laufende Nase auslöst. Als jedoch die "Schüttel"-Kopfschmerzen und die laufende Nase nicht besser wurden, suchte ich einen ORL-Spezialisten auf. Als ich ihm erzählte, dass mir "Wasser" aus der Nase tropfte, sollte ich ihm das direkt zeigen. Er nahm eine Probe, und es stellte sich heraus, dass es sich um Liquor handelt. Das bedeutete, dass irgendwo eine Fistel (ein Leck) vorhanden sein musste, durch die das Hirnwasser austrat. Ich wurde an das USZ weitergeleitet zu Prof. Dr. Holzmann von der ORL. In einer Operation verschloss er die Fistel. Doch auch nach der Operation hatte ich weiterhin "Schüttel"-Kopfschmerzen, und der Liquor tropfte weiter aus meiner Nase. Also suchte man nach einer weiteren Fistel, fand sie und verschloss diese in einer zweiten Operation. Doch auch nach dieser blieb ich mit den gleichen Beschwerden zurück. Daraufhin entschied man sich gegen eine dritte Operation und begann, nach anderen Ursachen zu suchen, warum der Liquor immer noch aus meiner Nase tropfte. Zu dieser Zeit war ich im KISPI in Behandlung und 2017 begegnete ich zum ersten Mal dem Begriff "Gorham-Stout-Syndrom".

Wie haben Sie und ihre Familie die Suche nach einer Diagnose erlebt?

Zu Beginn war ich ehrlich gesagt ziemlich verwirrt, da die ersten Ärzte mir sagten, es handele sich um eine Grippe oder Allergie, die die laufende Nase verursachte. Ich glaubte ihnen, aber ich wusste selbst, dass das nicht normal war. Es waren nicht nur ein bis zwei Tropfen, die aus meiner Nase kamen – wenn ich mich kopfüber beugte, lief es wie aus einem Wasserhahn. Als ich schliesslich die Diagnose erhielt, dass es sich um Liquor handelt und man es operieren könne, dachte ich mir nicht viel dabei und war froh, dass die Kopfschmerzen bald vorbei sein würden. Doch nach der ersten Operation, als der Liquor immer noch aus meiner Nase lief, hatte ich ein ängstliches Gefühl. Ich dachte, vielleicht hätte ich nicht richtig auf die Ärzte gehört und dadurch wäre die Heilung nicht optimal verlaufen. Mir wurde gesagt, dass ich nach der Operation vier Wochen keinen Sport machen dürfe, aber ehrlich gesagt habe ich mich nicht ganz daran gehalten. Manchmal spielte ich in der Pause trotzdem mit meinen Freunden Fussball. Ich hatte grosse Angst, dass ich dadurch die Heilung gestört und das Leck sich wieder geöffnet hatte. Im Nachhinein muss ich sagen, dass diese ganze Geschichte ziemlich ironisch ist, wenn man bedenkt, dass ich überhaupt nichts dafür konnte. Als dann das Gorham-Stout-Syndrom diagnostiziert wurde, wurde endlich vieles klarer, und ich verstand, warum all das in den letzten drei Jahren passiert ist.

Hatten Sie in der Abklärung auch manchmal das Gefühl, nicht genügend ernst genommen zu werden?

Im Grossen und Ganzen nicht. Rückblickend ist es schon ein wenig ironisch, dass mir anfangs gesagt wurde, es handele sich um eine Grippe oder Allergie. Hätten die Ärzte damals auf meine Symptome reagiert, hätte die Diagnose möglicherweise schon viel früher gestellt werden können, und man hätte früher anders handeln können. Sobald jedoch klar war, dass es sich um Liquor handelt, befand ich mich letztlich immer in guten Händen.

Was hat es bedeutet, schliesslich eine Diagnose zu bekommen?

Die Diagnose war insgesamt sehr wertvoll, da sie mir endlich den Grund für die wiederkehrenden Symptome erklärte – warum mir Liquor aus der Nase tropft, warum ich ständig Kopfschmerzen habe und warum ich immer wieder an Hirnhautentzündungen leide. Das war eine Erleichterung. Allerdings, als ich mich näher mit der Diagnose beschäftigte und erfuhr, dass das Gorham-Stout-Syndrom sehr selten ist und es keine spezifische Medikation zur Heilung gibt, wurde mir klar, dass ich in den kommenden Jahren mit dieser Situation und den daraus resultierenden Komplikationen leben muss.

Was denken Sie, wie wäre ihre Situation, wenn sie noch immer keine Diagnose hätten. Wie wäre ihr Leben dann möglicherweise verlaufen?

Gar nicht gut, denke ich. Vor allem in Bezug auf die Hirnhautentzündungen – all diese Hirnhautentzündungen, und man wüsste nicht, warum. Das hätte einen psychisch noch mehr belastet. Mit der Diagnose weiss ich jetzt wenigstens, warum ich so viele Hirnhautentzündungen hatte und warum mir der Liquor manchmal aus der Nase tropft. Das macht es definitiv leichter, alles zu verarbeiten & zu verstehen.

Gab es allenfalls nach der Diagnose Schwierigkeiten mit den Krankenkassen, um ein Medikament oder Therapie zu bekommen?

Teilweise schon. Da die Krankenkasse die Krankheit nicht kennt, übernimmt sie manchmal nicht die Kosten für bestimmte Medikamente, und man muss länger auf eine Kostengutsprache warten. Als ich meine Weisheitszähne zog, musste ich es in einer Vollnarkose im Spital machen, weil es gefährlich sein kann, Zähne zu ziehen, während ich bestimmte Medikamente wegen meiner Krankheit nahm. Die Krankenkasse verstand nicht, warum eine Vollnarkose nötig war und wollte die Kosten nicht übernehmen. Am Ende mussten wir es selbst bezahlen.

Was bedeutet Ihre Krankheit für Sie heute im Alltag?

Eigentlich kann ich das meiste noch machen, und dafür bin ich froh und dankbar. Ich kann arbeiten, habe trotz einigen Komplikationen meine Lehre abgeschlossen und kann meinen Interessen nachgehen. Trotzdem habe ich immer wieder mit Kopfschmerzen und Rückenschmerzen zu kämpfen, was mich je nach Situation bei der Arbeit oder bei Aktivitäten mit meinen Freunden beeinträchtigt. Durch die ganze Krankheitsgeschichte musste ich auch das Fussballspielen aufgeben, was mich am Anfang sehr belastet hat. Durch die vielen Lumbalpunktionen wegen den Hirnhautentzündungen hat mein Rücken und meine Beweglichkeit auch stark darunter gelitten. Deshalb bin ich viel in der Physiotherapie, um meinen Rücken und Nacken fit zu halten. Aber ich habe gelernt, wie ich mit all dem umzugehen habe und trotzdem meinen Interessen nachgehen kann. Manchmal fühlt es sich an, als würden einem durch die Krankheit Steine in den Weg gelegt werden. Aber auch diese kann man umgehen.

Wie gehen Ihre Familie und Freunde damit um?

Meine Familie durchlebt das Gleiche wie ich. Sie waren sicherlich erleichtert, als die Diagnose gestellt wurde, weil es ihnen half, vieles zu verstehen. Trotzdem bleiben immer Sorgen, was in den nächsten Jahren passiert. Wie wird sich die Krankheit auf meine Ausbildung und Arbeit auswirken? Ich habe zum Glück ein gutes Umfeld, und auch meine Freunde interessieren sich sehr dafür, wie es mir geht und wie es weitergeht. Dafür bin ich sehr dankbar.

Haben sie Kontakt zu anderen Betroffenen?

Nein. Da es eine sehr seltene Krankheit ist und weltweit weniger als 300 Fälle bekannt sind, kenne ich niemanden, der das Gorham-Stout-Syndrom hat. Es würde mich aber sehr interessieren, welche Beschwerden jemand anderes mit der gleichen Krankheit hat.

Wie wirkt sich die Krankheit auf die Arbeitswelt oder Ausbildung aus?

Die Krankheit hat mir in der Arbeitswelt schon einige Sorgen bereitet. Ein Jahr nach der Diagnose begann ich eine Lehre als Zeichner Fachrichtung Ingenieurbau. Während der Lehre musste ich immer wieder ins Krankenhaus, wegen Hirnhautentzündungen und anderen Beschwerden. 2021 hatte ich eine Zeit, in der ich bei der Arbeit immer wieder starke, pulsierende Kopfschmerzen bekam, vor allem wenn ich längere Zeit sitzen musste. Oft musste ich dann früher nach Hause gehen und konnte auch nicht regelmässig zur Schule. Zum Glück hatte ich einen sehr verständnisvollen Chef, der mir geholfen hat, die Lehre trotz der Schwierigkeiten erfolgreich abzuschliessen, auch wenn ich ein Jahr wiederholen musste. Dafür bin ich sehr dankbar. Im Moment mache ich ein Praktikum an einer Schule und möchte danach das Studium an der PH beginnen. Manchmal mache ich mir Sorgen, ob ich das gesundheitlich überhaupt schaffen kann und wie es in Zukunft aussehen wird. Ob ich 100% arbeiten kann oder ob es vielleicht nicht mehr geht. Es ist auch psychisch belastend, immer wieder krank zu sein und nicht zu wissen, wann oder ob die Krankheit endet. Auch wenn viele Verständnis dafür haben, dass ich öfter krank bin, belastet es einen trotzdem & man hat auch mit seinem Gewissen zu kämpfen.

Ein Satz zum Schluss

Ich hoffe ich konnte meine Erfahrungen mit dem Gorham-Stout-Syndrom ein bisschen teilen. Ich finde es bedeutend, dass die Gesellschaft über seltene Krankheiten informiert wird, die vielleicht nicht jedem bekannt sind. In einer Welt, in der Dinge, die wir nicht gut kennen, oft Angst machen, ist es wichtig, Verständnis und Mitgefühl für Menschen zu haben, die mit solchen Krankheiten leben. Nur weil eine Krankheit nicht weit verbreitet ist, bedeutet das nicht, dass sie nicht genauso einschränkend wirken kann, insbesondere im Berufsleben. Letztlich haben diese Menschen die Krankheit nicht gewählt und sollten dennoch die Möglichkeit haben, das zu tun, was sie lieben. Jeder sollte die Chance haben, seine Leidenschaften zu verfolgen, unabhängig von den Herausforderungen, denen er sich stellen muss.

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