Nationale Koordination Seltene Krankheiten
Coordination nationale des maladies rares
Coordinamento nazionale malattie rare
Coordination Rare Diseases Switzerland

Interview Hansruedi Silberschmidt

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Bild: privat
Interview: Christine Guckert (kosek)

Welche Krankheit haben Sie genau?

Meine Krankheit heisst Primäre Ziliendyskinesie (oder Ciliäre Dyskinesie - kurz PCD). Es geht dabei um eine Beweglichkeitsstörung der Zilien oder Flimmerhärchen auf allen Schleimhäuten im Körper. Weil die Zilien nicht oder nicht koordiniert schlagen, bleibt aller Schleim liegen und wird nicht automatisch wegtransportiert wie bei gesunden Menschen.

Welche Symptome haben Sie?

Täglicher Begleiter ist der chronische Husten, seit meinem ersten Lebenstag. Auch die Nase läuft ständig und Ohrenprobleme gehören ebenfalls zum Alltag. Durch die Schleimansammlung in den Bronchien und Nasenhöhlen kommt es öfters zu Infekten, bei mir meistens mit starkem Fieber. Das kommt ein bis viermal jährlich vor. Heute bin ich schon 65 Jahre alt. Durch die ständige Belastung der Atemwege habe ich ein stark reduziertes Atemvolumen, brauche zwischendurch täglich einen Sauerstoffkompressor. Auch die Unfruchtbarkeit ist ein häufiges Symptom von PCD.

Wann sind Sie bzw. Ihre Eltern auf die Symptome aufmerksam geworden?

Bereits bei der Geburt. Zuerst habe ich kaum geatmet und musste in einem Inkubator (Brutkasten) versorgt werden. In den ersten Lebenswochen gab es mehrere Atemstillstände. Dazwischen ging es mir wieder recht gut. Doch ich war von Anfang an ein gesundheitliches Sorgenkind, bei dem die Ärzte keine Ahnung hatten, was mit diesem Kind nicht stimmt.

Wie lange hat es bis zu einer präzisen Diagnose gebraucht?

Erst mit 39 Jahren erhielt ich die korrekte Diagnose PCD. In der Kindheit wurde immer wieder vermutet, ich hätte Mukoviszidose, weil die Symptome sehr ähnlich sind. Doch auch der siebte Schweisstest, den sie mit mir machten, blieb negativ. So habe ich unzählige Ärzte erlebt, die alle letztlich nicht weiter wussten mit mir und mich allenfalls symptomatisch behandelten. Als 15-Jähriger, gerade etwas erholt von einer zweijährigen Krisenzeit mit ständigen Infekten, brach ich den Kontakt zu den Medizinern für einige Jahre weitgehend ab. Ich dachte mir, sie können mir sowieso nicht helfen, also muss ich irgendwie allein über die Runden kommen.

Wie viele Ärzte haben Sie gesehen?

Vielleicht waren es 40, vielleicht auch 60 Mediziner, die mich behandelten, bevor ich richtig diagnostiziert wurde.

Wie haben Sie die Suche nach einer Diagnose erlebt?

Über viele Jahre hatte ich die Hoffnung aufgegeben, medizinisch gut behandelt zu werden. Immer wieder wurde ich – gerade als Kind oder Jugendlicher – auch verdächtigt, meine Symptome seien nur vorgeschoben, ich sei ein Simulant, der es auf den Krankheitsgewinn abgesehen hätte. Oder ich hätte psychische Probleme und deshalb immer wieder Infekte. Deshalb habe ich meine Symptome eher versteckt und versucht, meine Probleme irgendwie allein zu lösen.

Hat ihnen ein ZSK oder eine Helpline geholfen, zur Diagnose zu kommen?

Ich erhielt die richtige Diagnose im Jahr 1997. Damals gab leider es noch keine Zentren oder Helplines. Auch der Begriff der „Seltenen Krankheit“ war mir bis dahin noch nicht begegnet, so konnte ich gar nicht nach einer solchen suchen. Auch gab es damals erst seit Kurzem Internet und noch keine Suchmaschinen, die hätten weiterhelfen können. Und auch die meisten Ärztinnen und Ärzten hatten von seltenen Krankheiten noch wenig gehört.

Hatten Sie in der Abklärung auch manchmal das Gefühl, nicht genügend ernst genommen zu werden?

Ja, die Ohnmacht mit meinen täglichen, lästigen Symptomen war gross. Es gab einfach niemanden, der mir irgendwie helfen konnte. Und die Tendenz vieler Ärzte, Patienten ohne konkrete Diagnose in die psychosomatische Schublade zu stecken, war sehr belastend. Manchmal gar mit dem versteckten oder offeneren Hinweis, sich etwas mehr anzustrengen, um gesund zu werden.

Was hat es ihnen bedeutet, schliesslich eine Diagnose zu bekommen?

Es war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich, der gesundheitliche Eremit, der medizinische Sonderling, hatte damals plötzlich eine ganz konkrete Diagnose erhalten! Ich dachte mir: Ist das menschenmöglich, nach so vielen Jahren der Ungewissheit? Wie soll ich das begreifen? Bin wirklich ich damit gemeint?

Gab es allenfalls nach der Diagnose Schwierigkeiten mit der Krankenkasse, um ein Medikament oder eine Therapie zu bekommen?

Keine Grossen, aber eine Banale: Die hypertone Kochsalzlösung, welche ich täglich zweimal inhaliere, um den Schleim in den Bronchien zu lösen, zahlt die Krankenkasse nicht mit der lapidaren Begründung: Salzlösung ist kein Medikament. Dennoch kann ich kein Küchensalz selber mischen. Ich muss mir die hygienisch produzierten Salzflacons selber kaufen. Daneben gibt es bis heute noch keine spezifischen Medikamente für PCD, welche diese ursächlich behandeln. Von daher sind die weiteren Medikamente, die ich benötige, eher günstige und werden von der Krankenkasse problemlos bezahlt.

Was bedeutet Ihre Krankheit für Sie heute im Alltag?

Ich beziehe inzwischen eine AHV-Rente und habe deshalb genügend Zeit jeden Tag ca. drei Stunden meine Therapien durchzuführen (Inhalieren, Nasenspülung, Atemübungen, Bewegungstraining). Als ich noch arbeitete, war ich oft am Limit mit meinen Kräften, obwohl ich meistens nur vier Tage die Woche berufstätig war. Viele Jahre waren Freizeitaktivitäten nur am Wochenende oder während der Ferien möglich.

Wie gehen Ihre Familie/Freunde damit um?

Alle im näheren Umfeld kennen meine reduzierte Leistungsfähigkeit und den ständigen Husten, sodass sie nicht mehr darauf reagieren. Leute, die mir weniger nahe stehen, sind manchmal schon irritiert und reagieren distanzierter.

Sind Sie in einer Patientenorganisation? Inwiefern können Sie von einem Austausch mit anderen Betroffenen profitieren?

Seit 14 Jahren bin ich Mitglied des deutschen Vereins Kartagener Syndrom und Primäre Ciliäre Dyskinesie e.V. Es war für mich ein berührendes Erlebnis, 2012 erstmals mit Menschen in Kontakt zu kommen, die an derselben Krankheit leiden wie ich. Seit 10 Jahren arbeite ich dort im Vorstand mit. Unter anderem organisieren wir jährlich einen dreitägigen Patientenkongress, bei dem viele fachliche und persönliche Kontakte möglich sind. Inzwischen gibt es auch zahlreiche Ärztinnen und Ärzte, die sich für die Erforschung von PCD engagieren und im medizinischen Beirat des Vereins wichtige Arbeit leisten. Auch in der Schweiz forscht das Team unter Dr. Claudia Kühni vom ISPM der Universität Bern seit Jahren zu Themen rund um PCD und pflegt einen intensiven Kontakt zu den betroffenen Patient:innen. In den letzten zwei Jahren fand zusammen mit diesen erstmals ein internationaler Online-Kongress statt, an dem Fachleute und Betroffene aus zahlreichen Ländern ihre Forschung und ihr Erfahrungswissen miteinander teilten. Das macht Mut, auch wenn bis heute eine ursächliche medizinische Behandlung von PCD nicht möglich ist.

Sie haben Ihre Erfahrungen in einem Buch festgehalten – was hat es für Sie bedeutet, Ihre Geschichte aufzuschreiben?

Mit meinem Buch „Husten verboten“ wollte ich meine ziemlich verrückte Geschichte erzählen, wie ich nach vielen Jahren der Odyssee durch die Medizin doch noch zu einer konkreten Diagnose gekommen bin. Das half mir einerseits zur Verarbeitung meiner recht „schrägen“ Biographie und der zahlreichen sehr schmerzhaften Kindheitserinnerungen. Zum anderen wollte ich auch aufklären über das Thema „Seltenen Erkrankungen“ ganz generell und die Wichtigkeit einer möglichst frühen Diagnose aufzeigen. Solche, die mich schon länger kennen, haben durch mein Buch erstmals erfahren, mit welchen Hindernissen und Zweifeln ich durchs Leben gestolpert bin als kränkelnder Patient, dem die Mediziner während 39 Jahren nicht richtig weiterhelfen konnten. Und manche, die mich nicht kennen, können durch das Buch erfahren, welch einschneidender Schritt es ist, frühzeitig diagnostiziert und damit auch richtig behandelt zu werden.

Das Buch kann beim Autor direkt (hr(at)silberschmidt.ch) oder auch über den Buchhandel bezogen werden: Hansruedi Silberschmidt: «Husten verboten. Ein Leben mit einer seltenen Krankheit», Elfundzehn Verlag 2021, ca. Fr. 32.– ISBN 978-3-907243-00-8


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